Diarium des Bruder Honestus
Teil 7 - Elrond 2003


abe zusammen mit einer Gruppe weiterer Leute, die wie ich dem Aufruf der McKyles gefolgt sind, Grunwald erreicht. Rayek und Keltis McKyle begrüßten uns am Bootsanleger und luden uns ein, ihnen in die Taverne zu folgen, wo sie uns noch einmal eine Zusammenfassung der hiesigen Situation gaben. In der folgenden Unterredung berichtete ich von dem Brief und dem zwergischen Manuskript, die ich in der Bibliothek zu Kyle gefunden hatte. Der Rat der Frau aus dem Brief, eine Jungfrau an den Drachen zu verfüttern, stieß natürlich auf allseitige Ablehnung, ich wies jedoch darauf hin, daß es nicht schaden mochte, den beschriebenen Trunk vielleicht einfach so dem Drachen bei zu bringen, sollte man das vollständige Rezept herausfinden.

twas später, nachdem ich mein Zelt aufgebaut hatte, übergab ich den McKyles die Abschrift des zwergischen Manuskriptes, damit sie es in ihre "Bibliothek" aufnehmen konnten. Diese Schriftensammlung, bestehend aus einer großen Truhe voller ungeordneter Schriftrollen, wird zur Zeit von einigen Freiwilligen unter den Angereisten sortiert und katalogisiert. Vielleicht finden sich ja nützliche Hinweise darin.

m späten Nachmittag ist eine Einheit der Kyler Legion in Grunwald eingetroffen, begeleitet von einer ganzen Anzahl Söldner. Wie ich hörte, wurde der Trupp auf dem Weg hierher von den Räubern attackiert, die nach wie vor diese Gegend heimsuchen. Die Banditen waren wohl nur darauf aus, mit geringem Risiko möglichst viel Schaden anzurichten. Sie ließen sich auf keinen Nahkampf ein und zogen sich rasch wieder zurück, wie mir Jaromir v. Tannenwald, dessen Pappenheimer Trupp ebenfalls zu den angekommenen Kämpfern zählt, berichtete. Mehrere Verwundete gab es auf Seiten des Trosses zu beklagen. Zumindest werde ich heute nacht ruhiger schlafen können, nun, da ich Grunwald durch eine erkleckliche Zahl Kriegerleut geschützt weiß. Im mittlerweile recht großen Zeltlager vor dem Dorf herrscht noch ein lautes Treiben, doch ich werde mich jetzt zur Ruhe begeben.

eute, an meinem zweiten Tag in Grunwald, ist viel geschehen, und wenn alles gutgeht, könnten schon morgen Abend die Probleme des Dorfes der Vergangenheit angehören.
Am Morgen erfuhre ich, daß während der Nacht ein mysteriöses Wesen aus dem Nichts erschienen war und sich im Schutze eines Energiefeldes am Heimstein zu schaffen gemacht hatte. Danach soll es sich ebenso plötzlich, wie es erschienen war, wieder in Luft aufgelöst haben. Tatsächlich wurde ich dann heute im Laufe des Tages Zeuge, wie das Wesen noch mehrfach erschien und diesmal jeweils eine Person entführte. Die Entführten kamen jedesmal wieder, berichteten aber, unter Wahrheitszwang zu unseren Aktivitäten befragt worden zu sein.

m späten Vormittag brach eine Expedition zu der Burgruine auf, die sich in einiger Entfernung befindet. Man hatte unter den Schriftrollen der Bibliothek eine Karte gefunden, auf der eine Stelle markiert war, an der offenbar etwas versteckt sein könnte, das uns vielleicht weiterhelfen mochte.

ährend die Expedition unterwegs war, wurden in Abständen Patroillen in den das Dorf umgebenden Wald ausgesandt, um die Aktivitäten der Echsenmenschen, der Räuber und des Drachen auszukundschaften. Die Spähtrupps sollten sich auf keine Kämpfe einlassen und ihre Beobachtungen dem Kommandanten der Kyler Legion, Kyril von Ackernfurt, melden. Alle Sichtungen wurden sodann auf einer Karte eingetragen. Ich selbst begleitete die Pappenheimer auf einen solchen Kundschaftergang, um im Notfall medizinische Hilfe leisten zu können. Einmal trafen wir dabei auf Echsenwesen, die aber wie auch wir nicht an einer Auseinandersetzung interessiert schienen und im Unterholz verschwanden.

päter kehrte die Expedition von der Burg wieder zurück - jedenfalls zum Teil. Man hatte an dem auf der Karte markierten Punkt eine Truhe gefunden, in der unter anderem eine Schriftrolle mit dem einen fehlenden Zauberspruch von dreien war, mit denen einige der in Grunwald anwesenden Magier die Wirkung des Heimsteines zu brechen hofften. Wenn dies gelingen würde, würde allerdings natürlich das Problem mit dem Drachen in alter Schärfe wiederkehren.
Leider war die Truhe mit einer Falle gesichert gewesen. Eines der Expeditionsmitglieder war magisch versteinert worden und hatte zunächst zurückgelassen werden müssen. Ein weiteres Mitglied war vergiftet worden. Ich konnte jedoch mit Hilfe eines Rezeptes aus der Schriftensammlung der McKyles einen Trunk zur Heilung von Vergiftungen brauen, der den Mann wieder kurierte. Ich habe mir das Rezept abgeschrieben; derlei Wissen mag sich auch zukünftig von Nutzen erweisen.

ie bereits geschrieben, würde der Drache wieder über das Dorf herfallen, sollte es gelingen, den Heimstein wieder zu deaktivieren, um nicht länger seinen Nebenwirkungen ausgesetzt zu sein. Mittels der drei Sprüche hoffte man nun, dies aber zumindest bewerkstelligen zu können. Das Trachten der Gelehrten richtete sich nun darauf, eine Möglichkeit zu finden, sich auch des Drachen zu entledigen. Wie bekannt war, hatte der Drache mit einem magischen Horn, an dessen Erschaffung der Legende nach auch der zwergische Gott Sagor beteiligt gewesen war, kontrolliert werden können. Tatsächlich hatte vor zwei Jahren offenbar ein Schurke den Drachen mittels des Hornes überhaupt erst aus dem Meer gerufen, wohin er einst von den Göttern dieses Landes verbannt worden war, wie mir berichtet wurde. Leider war vor zwei Jahren, als der Schurke unschädlich gemacht worden war, wohl auch das Horn zerstört worden.

ie zu erfahren war, hatten die Götter Kyles, nachdem sie den Drachen mittels des Hornes ins Meer gebannt hatten, das Instrument in zwei Stücke geteilt - das Horn an sich und das Mundstück. Letzteres war dem Wasservolk der Aquinn zur Aufbewahrung gegeben worden, das Horn aber den Menschen. Zu den Hütern des Horns war ein Ritterorden bestimmt worden, der jedoch ausgelöscht worden war, als besagter Schurke das Horn an sich gebracht hatte.
(Wie der Unhold an das Mundstück gekommen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich muß die ganze Geschichte bei meinem nächsten Besuch in Kyle noch einmal in Ausführlichkeit in Erfahrung bringen. Leider dachte ich zu spät daran - erst, nachdem ich bereits wieder abgereist war.)

s hatte jedoch einen einzigen Überlebenden gegeben. Dieser, Dankwart mit Namen, lebt hier in Kyle und ist inzwischen ein alter Mann. Er berichtete von den "Heiligen Hallen", dem Ort, an dem seine Ordensbrüder begraben waren. Diese sollten sich in einiger Entfernung von Grunwald im Wald befinden. Interessanterweise hatte sich durch die Beobachtungen der Patroillen gezeigt, daß die Gegend, in der die Heiligen Hallen liegen sollten, offenbar von den Echsenwesen gemieden wurden. Überall waren sie gesichtet worden, nur dort nicht. In der Hoffnung, dort etwas zu finden, das womöglich Hinweise darauf geben mochte, wie ein neues Horn zu fertigen war, brach eine neue Expedition dorthin auf. Auch ich schloß mich ihr an.

irklich erreichten wir unbehelligt den Eingang zu den Heiligen Hallen, die unterirdisch angelegt waren. Wie Dankwart erklärte, konnten nur solche, die sich als würdig genug erwiesen, die Hallen betreten. Er beschrieb den Ritus, mittels dessen diese Würdigkeit geprüft wurde. Fünf wurden bestimmt, die versuchen sollten, zusammen mit Dankwart einzutreten. Tatsächlich erwiesen sich vier von ihnen als würdig, nur einer wurde abgewiesen. Ich weiß nicht, was in den Hallen geschah, doch nach einer Weile spürten wir, die wir draußen warteten, ein Beben in der Erde. Die Hallen stürzten ein, doch die Eingetretenen konnten sich gerade noch mit Müh und Not herausretten. Mit sich brachten sie einen alten Folianten, in dem beschrieben wurde, wie das Mundstück angefertigt werden konnte, sowie das "Auge des Drachen" ein Artefakt, das es erlaubte, einem Horn die Kraft zu geben, um dem Drachen zu gebieten. Allerdings wäre das "Auge" beinahe für immer in den eingestürzten Hallen verloren gewesen, denn die, die hinein gegangen waren, hatten es nicht selbst gefunden. Wie sie berichteten, sei jedoch am Ausgang ein seltsames Wesen erschienen, das sich bereit erklärte, das Artefakt herbeizuschaffen, wenn sie bereit seien, ihm einen Preis seiner Wahl zu überlassen, wenn es später in der Nacht in das Dorf kommen wolle.

ir kehrten ins Dorf zurück. Ich hielt mich an Dankwarts Seite, der von dem Geschehen sichtlich mitgenommen war. Er vertraute mir an, daß ihm seine alten Kameraden, deren Geister den Eingetretenen offenbar in den Hallen erschienen waren, ihm "seine Schuld vergeben" hätten. Offenbar gab es einen dunklen Punkt in Dankwarts Vergangenheit, doch wer bin gerade ich, darüber zu richten...? Ich drang nicht weiter in ihn. Wenn seine Brüder ihm vergaben, so hoffe ich, daß er seinen Seelenfrieden finden möge.

nd so steht es nun. Ich habe am Nachmittag noch einige Heiltränke gebraut; sie mögen sich als nötig erweisen. Wenn alles gut geht, mag der morgige Tag die Lösung der Probleme Grunwalds bringen. Wenn nicht, dann... Doch solch finstere Gedanken bringen einen nicht voran. Ich muß fest in meinem Glauben an Darwik bleiben. Wie es Darwik gefällt, so wird es geschehen. Mit diesem tröstenden Gedanken lege ich mich nun zur Nachtruhe.

s ist Vormittag, und ich sitze zusammen mit einem wandernden Schneider, der die letzten Tage ebenfalls in der relativen Sicherheit Grunwalds verbracht hat, unter der großen Kastanie vor der Schenke. Ein sehr umgänglicher Bursche, der aus Oschenheim kommt, wie er mir erzählt. Aus Oschenheim kamen, wenn ich mich recht entsinne, auch einige Mitglieder des Friedländischen Artilleriefähnleins, das mit zur Allianz zählte, während meines unseligen Aufenthaltes in Mythodea. Der Beschreibung nach scheint es sich um ein sehr angenehmes Fleckchen Erde zu handeln, selbst wenn die Bewohner offenbar eine sehr starke Abneigung gegen die Ausübung von Magie hegen. Nun, ich bin kein Magier - vielleicht werde ich Oschenheim ja eines Tages einmal selbst besuchen.

ber ich schweife ab. Die zurückliegende Nacht hat folgenschwere Ereignisse mit sich gebracht. Ich war bereits eingeschlafen, als ich durch laute Rufe wieder geweckt wurde. Aus irgendeinem Grund war es den damit befassten Magiern notwendig geworden, den Versuch, den Heimstein zu deaktivieren und das neue Horn zu erschaffen, noch in der Nacht durchzuführen. Da damit gerechnet wurde, daß die Echsenwesen, die in der Vergangenheit stets mit dem Drachen zusammengearbeitet zu haben schienen, versuchen würden, dies zu verhindern, war jeder, der Waffen tragen konnte, aufgefordert, die Magier bei ihrem Unterfangen zu schützen. Das Zeltlager vor dem Dorf sollte zur Sicherheit der Reisenden evakuiert werden.

ch war müde, und die Kälte der Herbstnacht schnitt mir in die Glieder, doch verschwendete ich keinen Gedanken mehr an diese kleineren Unannehmlichkeiten, nachdem die Magier ihr Ritual begonnen hatten und tatsächlich kurz darauf die Echsenwesen angriffen. Sie mußten das Dorf beobachtet haben. Während die Magier, die zusammen offenbar gerade genug Kraft aufbringen konnten, um trotz des Einflusses des Heimsteins ihr arkanes Werk zu verrichten, sich bemühten, den Heimstein zu deaktivieren und dem Horn die Fähigkeit zu geben, den Drachen zu beherrschen, wehrten die Krieger die Echsen ab. Schon bald gab es die ersten Verwundeten, und wir Heiler bekamen alle Hände voll zu tun. Zwei sehr schwer verwundeten Kriegern kamen die beiden Heiltränke, die ich parat hatte, zugute, die übrigen, die in meine Obhut gebracht wurden, mußten mit herkömmlicher Behandlung vorlieb nehmen.

nd schließlich riefen die Magier tatsächlich, daß es ihnen gelungen sei, den Heimstein zu deaktivieren! Nun hielt nichts mehr den Drachen vom Dorfe fern... Zunächst tat sich nichts - die Echsenwesen waren zum größten Teil niedergemacht worden - doch dann wurden angstvolle Schreie laut. Ich blickte von dem Verwundeten auf, den ich gerade mit Hilfe einer weiteren Heilerin verband, und sah den Drachen aus der Dunkelheit des Waldes herankommen. Dies war das erste Mal, daß ich jene unselige Kreatur tatsächlich mit eigenen Augen sah. Noch größer und schrecklicher war die Bestie, als ich es mir je hätte ausmalen können. Rufe nach dem Horn ertönten - und dann hörte ich, wie einer der Magier schrie, das Horn sei weg. In dem Moment dachte ich, nun sei alles verloren...

u dem Entsetzen meiner Heilerkollegin und mir kam der Drache direkt auf uns zu! Wir packten den bewußtlosen Verwundeten unter den Armen und bemühten uns, ihn so schnell es nur ging, aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zu ziehen. Doch dann trat ich in der Hektik, die mich ergriffen hatte, auf den Saum meines Umhanges und fiel neben dem verletzten Krieger ins Gras, und als ich zurückblickte, starrte ich direkt in die Fratze des Drachen, der keine fünf Meter hinter uns war und grollend näher kam! Bei Darwik, dieser Anblick war etwas, das ich für den Rest meines Lebens nicht wieder vergessen werde! Ich sah mein letztes Stündlein geschlagen und versuchte panisch wieder auf die Füße zu kommen. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich gar mit dem Gedanken spielte, meinen Patienten zurückzulassen, um wenigstens meine eigene Haut zu retten - doch zu meiner unsagbaren Erleichterun wurde der Drache in dem Moment von der Seite her abgelenkt, wohl von den Kriegern, die sich - vergeblich - bemühten, ihm Schaden beizubringen.

nd dann - Darwik sei gepriesen! - ertönte der dumpfe Klang eines Hornes. Der glorreiche Klang eines Hornes! Der Drache schien innezuhalten, und ich wagte kaum zu hoffen - konnte es sein...? Ich blickte in Richtung des Geräusches und sah den Barbarenkrieger namens Baruk, der erneut in ein Horn stieß. War es das Horn? Der Drache kroch langsam und unheilverkündend auf den im Vergleich winzig erscheinenden Barbaren zu, doch dieser wich nicht und blies erneut das Horn. Und siehe! der Drache blieb vor ihm stehen, abwartend, wie es schien. Baruk setzte das Horn ab und brüllte in seinem primitiven Dialekt etwas wie: "Gehen zurück in die See, Drache! Baruk sagen dies! Und niemals kommen wieder!" Dann stieß er wieder in das Horn. Und der Drache glitt an ihm vorbei zum Strand, wo er in den Wellen verschwand...

nd so hat sich für Grundwald endlich doch alles zum Guten gewendet. Der schädliche Einfluß des Heimsteines ist nicht mehr, und auch der Drache ist fort, hoffentlich für immer. Das Horn wurde mittlerweile, wie einst sein Vorgänger, wieder zweigeteilt. Das Mundstück ist bereits in der Obhut der Aquinn. Das Horn selbst hat Kyril von Ackernfurt an sich genommen, um es dem Herzog von Kyle zu überbringen, auf daß dieser in seiner Weisheit entscheiden möge, wie man es vor künftigen Mißbrauch zu schützen habe. Ich selbst werde zusammen mit Barnabas Maternus Uhlenbusch, dem Oschenheimer Schneider, nach der Hauptstadt Kyle wandern. Dort werde ich eine Passage in meine Heimat suchen. Der Winter naht, und es zieht mich zurück nach dem Kloster meines Ordens. Nach Hause.


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© 2003  Hanno Lamp