Diarium des Bruder Honestus
Teil 5 - Tanebria: Heilige Pfade


n Begleitung eines Edelmannes aus meiner Heimat, des Ritters Gideon von Meriba, und eines markedonischen Ritters samt seines Gefolges habe ich St. Salutin erreicht, einen Wallfahrtsort auf der Insel Carestria. Hier soll es eine Quelle geben, der heilsame Kräfte zugeschrieben werden. Des weiteren hat hier eine neue Taverne ihre Pforten geöffnet. Anläßlich der Neueröffnung und einiger Feiertage zu Ehren der hiesigen Götter gibt es zur Zeit freie Speisung - die auch wahrlich nicht schlecht ist.

err Gideon machte mir einen interessanten Vorschlag: Er gedenkt, mit einem zweiten nordlandischen Ritter und einem kleinen Gefolge an einer Expedition zu dem sagenumwobenen Kontinent Mythodea teilzunehmen. Da ihm noch ein Heiler in seinem Trupp fehlt, fragte er mich, ob ich mich der Expedition anschließen wolle.
Während ich für eine Weile hier verweilen werde, um meine Kräutervorräte aufzustocken, wird er in ein Dorf in der Nähe weiterreisen, wo er geschäftlich zu tun hat. Wenn er auf dem Rückwewieder hier vorbeikommt, erwartet er meine Entscheidung.

ach Anbruch der Dunkelheit tauchten mehrfach Orks auf, die offenbar eine Art Totemstab vermissen und den Dieb wohl hier in St. Salutin vermuten. Sie waren sehr aggressiv und griffen die Leute auf dem Tavernenvorplatz an. Auch ich wurde in den Kämpfen verwundet, und gar nicht mal so leicht. Meine Kutte hing am Rücken ganz in Fetzen - gut, daß ich eine zweite dabei hatte. Jemand muß mich auf magischem Wege geheilt haben, anders kann ich es mir nicht erklären, ohne Wunden wieder zu Bewußtsein gekommen zu sein.

er Rest der Nacht verlief relativ ruhig, abgesehen von einer wahren Kakophonie Wolfsgeheul aus dem nahen Wald, kurz nachdem ich mich zur Ruhe begeben hatte. Da sich jedoch nur wenige Tagesreisen entfernt das Hohheitsgebiet einer Rasse von Wolfsmenschen befindet und im Lager daraufhin kein Tumult ausbrach, dachte ich mir nichts weiter dabei.

en Großteil meines zweiten Tages in St. Salutin verbrachte ich mit heftigen Kopfschmerzen in meinem Zelt - die Hitze setzte mir doch arg zu. Erst gegen Abend ging es mir allmählich besser.
Über den Nachmittag hinweg kam es immer wieder zu Übergriffen seltsamer, bunter Wesen - wie ich inzwischen erfahren habe, soll es sich dabei um Feenwesen zweier Fraktionen handeln, die in Fehde liegen und diese offenbar mit Vorliebe hier im Lager der Reisenden austragen. Zunächst waren sie wohl eher entnervend denn gefährlich, wurden im Laufe der Zeit aber zunehmend aggressiver, und es kam zu einigen Verletzten. Glücklicherweise gibt es hier eine ganze Anzahl Heiler außer mir, so daß alle trotz meiner Unpäßlichkeit versorgt werden konnten.

m Abend tauchten dann wieder die Orks auf, und diesmal brachten sie zu allem Überfluß ungefragt einige Freunde mit - namentlich ein paar Trolle, mindestens zwei. Der entbrennende Kampf war lang und heftig. Glücklicherweise ging es mir zu der Zeit bereits wieder besser, so daß ich dieses Mal den Verwundeten besser zur Seite stehen konnte. Der Stab, den die Orks ja suchen, wurde zwar inzwischen gefunden, hatte den Orks aber wohl nicht mehr rechtzeitig ausgehändigt werden können, ehe diese wieder angriffen. Ich hoffe, daß dies mittlerweile geschehen ist, damit uns hier eine weitere umkämpfte Nacht erspart bleibe.

on einem der örtlichen Priester erfuhr ich, daß die Feenwesen üblicherweise von St. Salutin fernbleiben, da sie die Nähe heiliger Präsenzen fürchten und meiden. Da sich die hiesigen Götter aber, wie er sagte, zur Zeit beraten, und ihre Präsenz daher längst nicht so stark sei wie sonst, haben wir wohl zur Zeit die beschriebenen Probleme mit den Feenwesen.
Bis auf einige erneute Übergriffe der Feen verlief der dritte Tag relativ ruhig. Am Nachmittag tauchte - wie übrigens schon am Vortag - eine Gruppe der Wolfsmenschen aus dem Wald auf, was zunächst zu einiger Aufregung unter den Leuten auf dem Platz vor der Taverne führte. Die Wölfe blieben aber friedlich und verschwanden schließlich wieder.

ch selbst hatte auch unter den Machenschaften der Feen zu leiden. Nicht nur wurde ich wiederholt mit Steinen beworfen. Nein, ich wurde auch noch von einer sehr kleinen Fee, die von einem Buckligen in einem Wägelchen umher gezogen wurde, verzaubert: Sie grinste mich vergnügt an, schwang ein Stab mit einem bunten Windrad daran und sagte: "Du bist - weg!"
Und zack! fand ich mich übergangslos mitten im Wald wieder, in einem viereckigen Gatter eingesperrt, zusammen mit zwei Katzenwesen, einem Rattenmenschen, dem furchteinflößenden gehörnten, bocksfüßigen Tiermenschen, den ich schon öfters in St. Salutin gesehen hatte, und einer offenbar geistig leicht verwirrten Frau, die ständig alle möglichen Dinge geschenkt haben wollte. Sie alle waren wie auch ich dorthin gezaubert worden. Es erschienen noch einige weitere Opfer, darunter auch ein Schamane der Wolfsmenschen, der sich ebenfalls gerade in St. Salutin aufhält.
Das Gatter hatte eine Pforte, die eigentlich einfach hätte zu öffnen sein müssen. Offenbar befanden wir uns aber in einer Art unsichtbaren Energiefeld - wir fanden keinen Weg, uns aus dem Gatter zu befreien. Glücklicherweise verhielten sich die ganzen sonderbaren Kreaturen, mit denen ich eingesperrt war, dankenswert friedlich.
Nachdem wir anhand der Geräusche entdeckten, daß wir uns in Hörweite von St. Salutin befanden, konnten wir Hilfe herbeirufen. Von außen konnte die Pforte ganz einfach geöffnet werden, und wir waren frei.

m Abend griffen die Orks wieder mit ein paar Trollen an. Sie hatten ihren Stab zwar inzwischen wieder, wie ich höre, waren mittlerweile aber wohl auf den Geschmack gekommen. Dieses Mal konnten sie jedoch recht schnell zurück geschlagen werden und erlitten dabei schwere Verluste.

ährend ich jetzt gerade (es ist der Vormittag des vierten Tages meines Aufenthaltes in St. Salutin) die Ereignisse des gestrigen Tages niederschrieb, geschah Bemerkenswertes! Zum einen hörten wir hier in der kleinen Werkstatt des wandernden Schmiedes Thorgrim, bei dem ich in den letzten Tagen des öfteren gesessen habe, von zwei Seiten den nun schon nur zu vertrauten Lärm der Feenwesen nahen. Erstaunlicherweise konzentrierten sich die Biester dieses Mal tatsächlich nur auf sich selbst! Von einer Seite kam die Fraktion des Sommers heran, von der anderen ihre Feinde, die Feen des Herbstes. Gerade vor der Schmiede trafen sie aufeinander. Jede Gruppe hatte einen auserwählten Kämpfer dabei, und diese beiden begannen nun direkt vor den Augen von Thorgrim, Lars Arndson (eines weiteren Schmiedes) und mir, den entscheidenden Kampf mittels eines Duells auszutragen! (Hätten die verflixten Wesen das nicht gleich am Anfang machen können?!)
Die beiden Kämpfer trieben sich gegenseitig kämpfend durch das gesamte Lager, verfolgt von der restlichen Horde, die kreischend und zeternd ihren jeweiligen Champion anfeuerten. Durch den Radau wurden selbst die letzten Langschhläfer aus ihren Zelten getrieben.
Wir bleiben bei der Schmiede, konnten aber anhand des Lärms problemlos den Verlauf des Kampfes verfolgen. Schließlioch triumphierte der Kämpfer des Sommers über den des Herbstes. Die Sommerfeen trieben uns mit ihren Jubeltiraden noch für eine ganze Weile an den Rand des Wahnsinns, ehe endlich wieder Ruhe einkehrte. Ich hoffe für die Bewohner St. Salutins, daß damit diese Plage vorerst ein Ende hat!
Das zweite bemerkenswerte Ereignis war wesentlich kürzer, aber nicht weniger erstaunlich. Thorgrim hatte sich schon am Morgen gewundert, wieso seine Esse nach der Nacht immer noch erstaunlich heiß war. Wir hatten in der Schmiede gerade die Eindrücke des Feenduells verdaut, als plötzlich ein Wesen, daß ganz aus Flammen bestand, aus der Esse fuhr. Ich fiel vor Schreck fast von meiner Bank - es schien sich um eine Art kleinen Feuerdämonen zu handeln! Das ganze Vorzelt, unter dem sich die Schmiedewerkstatt Thorgrims befand, drohte Feuer zu fangen! Geistesgegenwärtig schnappten Thorgrim und Lars sich einen mit einer Handpumpe versehenden Wassereimer und richteten den Schlauch auf das Feuerwesen. Dieses war so verblüfft von dem Versuch, kurzerhand gelöscht zu werden, daß es schnurstracks das Weite suchte. Ein Exorzismus hätte nicht wirksamer sein können...

ch für meinen Teil werde gleich damit beginnen, mein Lager hier abzubrechen und mich dann auf den Rückweg nach Portigath machen, der Hafenstadt, von der ich hierher gewandert war. Wie zu erwähnen ich völlig vergessen habe, kehrte bereits gestern Herr Gideon zurück. Ich habe eingewilligt, ihn nach Mythodea zu begleiten. Er ist schon heute morgen mit seinem Knappen Richtung Portigath aufgebrochen, um ein Schiff zu suchen, das uns zunächst heim in die Nordlande bringen wird, ehe wir uns mit dem vollständigen Trupp der Expedition anschließen werden.


Zurück zum Inhalt



© 2003  Hanno Lamp