Diarium des Bruder Honestus
Teil 1: Elrond 2002


eute habe ich am Abend das Dorf Grunwald im Lande Kyle erreicht. Es tummelt sich hier allerlei buntes Volk, vornehmlich Abenteurer und Glücksritter, welche von den Gerüchten angelockt wurden, die in der Gegend hier kursieren. Jene Gerüchte sprechen von einem Drachen, der hier sein Unwesen treiben soll und angeblich einen Schatz bewacht. Vielleicht können mir die Bewohner des Dorfes mehr darüber erzählen.

en Gerüchten über den Drachen scheint zumindest ein wahrer Kern zugrunde zu liegen. Von der Dorfbevölkerung war zu erfahren, daß ungefähr vor Jahresfrist tatsächlich ein Drache dem See, an welchem das Dorf liegt, entstiegen sein, jedoch wurde das Untier seinerzeit in die Flucht geschlagen. In jüngster Zeit streicht der Drache jedoch wieder durch die Gegend und verwüstet einsam gelegene Höfe, verfolgt von einer zu diesem Zwecke in Grunwald stationierten Einheit der Kyler Legion.
   Die Geschichte über den Schatz scheint jedoch lediglich der Tatsache zu entstammen, daß zufällig zu der Zeit, als der Drache das erste Mal auftauchte, eine Steuerkasse von Banditen entwendet wurde. Diese beiden Geschehnisse wurden in der weiteren Erzählung offenbar vermengt - ein interessantes Beispiel für die Entstehung von Legenden.

er Drache ist nicht das einzige Problem in Grunwald. Echsenwesen, die in der Nähe hausen und mit denen Kyle wohl schon seit geraumer Zeit in Fehde liegt, haben jemanden entführt.

n der Nacht erwachte ich durch einen fürchterlichen Tumult in dem ausgedehnten Zeltlager vor dem Dorfe, in welchem auch ich meine Unterkunft errichtet habe. Alarmrufe ertönten, und immer wieder der Schrei: "Der Drache, der Drache!" Und dann vernahm ich ein gar schauerliches Brüllen aus dem umliegenden Wald - der Ruf des Drachen! Glücklicherweise unternahm die Bestie nicht den Versuch, in das Dorf einzudringen - während ich noch hastig im Begriff war, mich anzukleiden, entnahm ich den Geräuschen, daß sie sich wohl wieder entfernte. Darwik sei gepriesen!

ittlerweile - wir schreiben den 2. Tag meines Aufenthaltes in Grunwald - sind die von den Echsenwesen Entführten wohlbehalten zurückgekehrt. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen.
   Einer von ihnen, Bannerträger der Pappenheimer Ehrengarde namens Sven, berichtete mir, daß die Echsenwesen die Entführten in zwei Gruppen geteilt hätten. Die Gruppe, zu der er gehörte, zählte allein acht Personen, folglich muß die gesamte Anzahl der Gefangenen viel höher gewesen sein, als ich angenommen hatte. Seine Gruppe wurde von den Echsen an die Karuschen übergeben, bösartige amphibische Wesen, die im nahen See leben. Sie wurden unter Wasser festgehalten, wo sie offenbar mittels eines magischen Kräutleins atmen konnten. Sie wurden dann von Aquins, weniger feindseligen Vettern der Karuschen, befreit.
   Die andere Gruppe, unter ihnen ein Kell Daggart, mit dem ich sprach, wurde von den Echsen in eine Bodensenke gebracht, wo ein riesiges Ei lag - neben den Resten mindestens eines geschlüpften. Ehe sie fliehen konnten, wurden die Gefangenen Zeuge, wie ein junger Drache dem Ei entschlüpfte.

m Vormittag fiel eine Horde Echsenwesen in das Lager vor dem Dorf ein - vielleicht, weil einige der Lagerinsassen sich des Jungdrachen bemächtigt hatten, der sich recht zahm im Lager herumführen ließ. Ich wurde zu Beginn der Attacke leicht verwundet, war im weiteren Verlauf jedoch noch in der Lage, den übrigen - schwerer - Verwundeten beizustehen, wobei ich beinahe meinen gesamten Vorrat an wundheilenden Kräutern aufgebraucht habe.


Schwer beschäftigt - nach Versorgung der Ver-
wundeten kehre ich zurück zu meinem Zelt...
(Photo: Timo Stuber)

ittels des Atmungskrauts, das die Entführten nach ihrer Rettung durch die Aquins von diesen erhalten hatten, traf gegen Mittag eine Delegation mit den Aquins zusammen. Im Laufe mehrerer Treffen wurde zwischen den Aquins einerseits und den McKyles, den Lehnsherren Grunwalds, andererseits ein Pakt ausgehandelt: die Aquins stehen dem Dorfe gegen Karuschen, Echsenwesen und den Drachen bei. Der Nutzen, den die Aquins aus diesem Pakt ziehen, ist, daß auch sie Probleme mit den Karuschen haben, die durch ein gemeinsames Vorgehen mit uns Menschen beseitigt werden sollen.
   Indirekt habe auch ich mein Scherflein zum Entstehen dieses Paktes geleistet. Wie sich herausstellte, ruft das Atmungskraut beim Anwender eine Sucht hervor, die mit jedem Gebrauch an Intensität zunimmt. Rayek McKyle, einer der drei Brüder, welche die Lehnsherrschaft über Grunwald haben, beauftragte mich mit der Suche nach einem möglichen Gegenmttel, das die Betroffenen vielleicht von der Sucht kurieren könnte. Nach einigem Experimentieren gelang es mir dann auch tatsächlich, ein wirksames Gegenmittel zu fertigen.

uch im weiteren Verlauf mangelte es mir nicht an Arbeit. Die Aquins übergaben einer der Delegationen eine alte, schleimbedeckte Schriftrolle, auf welcher in fremdartigen Buchstaben ein Rezept geschrieben stehen sollte, mit dessen Hilfe das Atmungskraut dergestalt zu modifizieren sei, daß es dem Anwender erlaube, nicht nur unter Wasser zu atmen, sondern auch in ein Gebiet verpesteter Algen einzudringen, in welchem die Karuschen einen Runenstein verborgen hatten, den man gegen sie verwenden könne. Mich bat man, die Schriftrollen zu entziffern. Tatsächlich entdeckte ich bereits nach nur kurzem Studium der Rolle den Schlüssel zu ihrer Übersetzung. Mit Hilfe eines Abenteurers namens Mulch übertrug ich sodann die Rolle in leserliche Schrift.
   Im Anschluß an diese eher theoretische Arbeit ging ich zusammen mit der Heilerin Lysira und einer Kräuterkundigen, die sich "Falke" nennt, daran, die benötigten Zutaten zu sammeln - dies erledigten die beiden Frauen allein - , sie vorzubereiten und schließlich den Trank, den das Rezept aus der Schriftrolle beschrieb, zuzubereiten. Die Zubereitung des Trankes beschäftigte Lysira und mich bis nach Einbruch der Dunkelheit.
   Ich begab mich dann, erschöpft von diesem arbeitsreichen Tag, schon recht zeitig zur Ruhe und verschlief wie ein Stein gar einige Kämpfe im Lager. Betreffend der Vorgänge während der Nacht bin ich daher auf Berichte aus zweiter Hand angewiesen.

ie Wulf, ein junger Bursche, dem ich im Austausch gegen gelegentliche Handreichungen z.B. beim Kräutersammeln Obdach in meinem Zelt gewährt habe, mir berichtete, wurde mit Hilfe des von Lysira und mir gebrauten Atmungstrankes tatsächlich der bewußte Runenstein aus dem See geborgen.
   Der Zweck des Runensteins soll sein, den Drachen und seine Brut vom Dorf fernzuhalten. Um dies zu bewerkstelligen, so schilderte mir Ritter Jaromir von Tannenwald, Hauptmann der Pappenheimer Ehrengarde, führte der Skannt-Priester des Dorfes ein Ritual durch, während dessen zunächst ein wenig Blut des Jungdrachen auf den Stein vergossen wurde. Um die Funktion des Steines zu aktivieren, mußten sodann anderthalb bis zwei Dutzend Freiwillige einen Teil ihrer Lebensenergie an den Runenstein abgeben. Im Übrigen mußte das mehrstündige Ritual mehrfach gegen Angriffe der Echsenwesen verteidigt werden, die, wie mir erzählt wurde, den Drachen überhaupt erst zu den Attacken gegen das Dorf aufgestachelt hätten, und folglich nicht begeistert waren, in ihren Machenschaften aufgehalten zu werden.

in trauriger Nachtrag bleibt mir noch zu schreiben. Wie mir gerade zu Ohren kam, ließ ein Mann bei der Bergung des Runensteins aus dem See sein Leben. Möge Darwik dem tapferen Thalandor Silberzweig Einzug ins Perlalynn gewähren und die Nachwelt ihm ein ehrendes Andenken bewahren! Den Bewohnern Grunwalds wird sein Name sicherlich unvergessen bleiben.

eute, am Morgen meines 3. Tages in Grunwald, ist eine stattliche Anzahl von Recken in den Wald gezogen, um das Lager einer Räuberbande auszuheben, die in der Gegend ihr Unwesen treibt. Es blieben aber auch einige Wachen im Dorfe, um den Runenstein gegen einen möglichen Eroberungsversuch der Echsenwesen zu verteidigen.
   Wie ich hörte, wurden in der Frühe mehrere Wachen vermißt, in der Hauptsache Angehörige der "Öden Ränke", einer Söldnertruppe, die zur Zeit im Sold der McKyles steht. Auch dies schürte die Besorgnis vor neuerlichen Aktivitäten der Echsenwesen. Glücklicherweise blieb eine Attacke auf das Dorf jedoch aus.
   Ich hatte in der Zwischenzeit Gelegenheit, ein Schriftstück durchzulesen, auf das mich der Skannt-Priester Grunwalds aufmerksam gemacht hatte. Jenes Pergament gab nähere Auskunft des Runensteins, der von nun an das Dorf gegen den Drachen beschützen soll. Danach handelt es sich dabei um den sogenannten "Heimstein", ein Artefakt zwergischer Herkunft. Er wurde in der Tat in längst vergangener Zeit von einer Zwergenstadt erschaffen, um sich damit gegen eben jenen "Wurm" zu verteidigen, der nun in unserer Zeit die Gegend um Grunwald terrorisierte. Zwar ist der Stein offenbar unzerstörbar, doch kann er bewegt werden - und einige Zwerge der Stadt erlagen damals den hinterhältigen Einflüsterungen eines Feindes und trugen den Heimstein selbst aus der Stadt.

ie Expedition gegen die Räuberhöhle ist - nur teilweise erfolgreich - beendet, und auch die vermißten Wachen sind wieder aufgetaucht. Wie sich herausstellte, war es den Räubern in der Nacht gelungen, die Wachen unbemerkt in ihre Gewalt zu bringen - ein Vorgang, der kaum angetan sein dürfte, die Dienstherren der Söldner zu erfreuen.
   Die Räuberhöhle wurde zwar ausgeräuchert und dabei wohl auch eine gewisse Menge an dort lagerndem Diebesgut erbeutet, doch konnten die Räuber, nachdem sie noch ein Lösegeld für ihre Geiseln heraus gepreßt hatten, in den Wald entkommen. Zu diesem Zwecke hatten sie eine letzte Geisel, ein weibliches Katzenwesen namens Puush, zurückbehalten und sich dem Zugriff entziehen können, indem sie es als Faustpfand benutzten. Glücklicherweise kam auch Puush halbwegs unbeschadet davon - wie sie mir berichtete, schlugen die Räuber sie zwar nieder, nachdem sie außer Reichweite ihrer Häscher waren, doch sie trug dabei keine schlimmeren Verletzungen als wohl einen brummenden Schädel davon.


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© 2002  Hanno Lamp